Platons Höhlengleichnis und c (= 299790 km/sec)

Platons Höhlengleichnis
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Platons Höhlengleichnis wird im Buch “Der Staat” von Platon (427-347 v. Chr.) folgendermaßen beschrieben:

“Stelle dir nämlich Menschen vor in einer höhlenartigen Wohnung unter der Erde, die einen nach dem Lichte zu geöffneten und längs der ganzen Höhle hingehenden Eingang habe, Menschen, die von Jugend auf an Schenkeln und Hälsen in Fesseln ein geschmiedet sind, sodass sie dort unbe­weglich sitzen bleiben und nur vorwärts schauen, aber links und rechts die Köpfe wegen der Fesselung nicht um zu drehen vermögen; das Licht für sie scheine von oben und von der Ferne von einem Feuer hinter ihnen; zwischen dem Feuer und den Gefesselten sei oben ein Weg; längs diesem den­ke dir eine kleine Mauer erbaut, wie sie die Gaukler vor dem Publikum haben, über die sie ihre Kunststücke zeigen.

‘Ich stelle mir das vor’, sagte er.

So stelle dir nun weiter vor, längs dieser Mauer trügen Leute allerhand über diese hinausragende Gerätschaften, auch Menschenstatuen und Bilder von anderen lebenden Wesen aus Holz, Stein und allerlei sonstigem Stoffe, während, wie natürlich, einige der Vorübertragenden ihre Stimme hören lassen, andere schweigen.

‘Ein wunderliches Gleichnis und wunderliche Gefangene’, sagte er.

Leibhaftige Ebenbilder von uns! sprach ich. Haben wohl solche Gefangene von ihren eigenen Per­sonen und von einander etwas anderes zu sehen bekommen als die Schatten, die von dem Feuer auf die ihrem Gesicht gegenüberstehende Wand fallen?

‘Unmöglich‘, sagte er, ‘wenn sie gezwungen wären, ihr ganzes Leben lang unbeweglich die Köpfe zu halten’.

Ferner, ist es nicht mit den vorüber getragenen Gegenständen ebenso?

‘Allerdings.’

Wenn sie nun mit einander reden könnten, würden sie nicht an der Gewohnheit festhalten, den vor­über wandernden Schattenbildern, die sie sahen, dieselben Benennungen zu geben?

‘Notwendig.’

Weiter: Wenn der Kerker auch einen Widerhall von der gegenüberstehenden Wand dar böte, sooft jemand der Vorübergehenden sich hören ließe, – glaubst du wohl, sie würden den Laut etwas anderem zuschreiben als den vorüber schwebenden Schatten?

‘Nein, bei Zeus’, sagte er, ‘ich glaube es nicht’.

Überhaupt also, fuhr ich fort, würden solche nichts für wahr gelten lassen als die Schatten jener Gebilde?

‘Ja, ganz notwendig’, sagte er.”

Platon führt das Gleichnis noch weiter aus und beschreibt einen Gefangenen, der von seinen Fes­seln befreit wird und die Höhle verlässt.
 

Interpretation von Platons Höhlengleichnis

In einer etwas moderneren Form könnte man Platons Höhle mit einem Kino vergleichen. Die Schatten auf der Höhlenwand entsprächen dabei dem Film (= Bildfolge), die Höhlenwand selbst entspricht der Leinwand (= Raum/Zeit). Bemerkenswert an diesem Beispiel ist die Rolle von Sprache/Ton. In Platons Höhlengleichnis werden die Gespräche derjenigen, die die Gegenstände tragen, den Schatten zugeordnet. Im Kino hängen die Lautsprecher irgendwo im Raum, aber die Töne und Geräusche werden von den Zuschauern dem Film bzw. den darin agierenden Personen zugeordnet.

An dieser Stelle kann man nun fragen, wie sich Platons Höhlengleichnis auf die Wirklichkeit übertragen lässt. Ich bin der Meinung, dass ein Gefangener, der die Höhle verlässt, für praktische Überlegungen irrelevant ist. Wie es außerhalb der Höhle aussieht, mag zwar Gegenstand philosophischer und geisteswissenschaftlicher Spekulationen sein, in Wahrheit können wir aber nur die Höhlen­wand und die Schatten darauf erkennen.

Damit ergibt dieses Gleichnis aber ein sehr pessimistisches Bild des Menschen. Um ein weniger pessimistischeres Bild des Menschen zu zeichnen und um den Fortschritten der Wissenschaften in den vergangenen Jahrhunderten Rechnung zu tragen, will ich annehmen, dass die Gefangenen in der Höhle ihre Fesseln so weit lösen konnten, dass sie sehr dicht an die Höhlenwand (mit den Schat­ten) heranrücken konnten. Nun “sahen” und glaubten die Menschen, dass die Schatten Bestandteil der Höhlenwand sind, und befanden sich damit in einem gewissen Gegensatz zu Platon und man­chen Philosophen aus früheren Epochen, die behauptet hatten, die Schatten würden durch ein Feuer und Gegenstände einer geistigen Welt (Hegel spricht manchmal auch von “ideeller Realität”) auf die Höhlenwand projiziert.

Was heißt das aber nun, wenn man es auf die “reale Welt” überträgt? Die Höhlenwand ist für mich eine Metapher für die Materie bzw. die materielle Welt. Bemerkenswert finde ich, dass die Wand ebenso wie die richtige Materie aus Atomen besteht, was Platon aber wahrscheinlich nicht wusste. Zweifellos haben die Naturwissenschaften die Materie in den vergangenen Jahrhunderten genauestens erforscht. Das Heranrücken an die Höhlenwand und das Erforschen derselben (also der Mate­rie) war somit wohl eine historische Notwendigkeit.

Es setzte sich allerdings die (naturwissenschaftliche) Überzeugung durch, dass die Schatten fester Bestandteil der Höhlenwand sind. Tatsächlich lässt sich die Frage, ob die Schatten Teil der Höhlenwand sind oder wie bei Platon von einem fernen Feuer projiziert werden, keiner wissenschaftlichen Disziplin zuordnen. Es lassen sich aber Indizien dafür finden, dass viele Bewegungen der Materie ihre Ursache außerhalb der materiellen Welt haben müssen.

G.W.F. Hegel vertrat die Meinung, dass Materie etwas Totes sei. Ich schließe mich dieser Auffas­sung an. Insbesondere haben nach dieser Ansicht alle Bewegungen der Materie, die mit dem Leben in Zusammenhang stehen, ihre wichtigsten Ursachen nicht in der materiellen Welt, sondern in der Welt des Geistes.

Wenn man die Metaphern von Platons Höhlengleichnis in die reale Welt übertragen möchte, stellt man fest, dass die Schatten meistens sehr viel bunter und lebhafter sind als es das Höhlengleichnis nahelegen würde. Für mich ist das nun ein Argument dafür, dass diese vielfältigen, bunten und lebhaften Bewegungen ihre Ursache nicht in der Höhlenwand, d.h. der toten Materie, haben können, sondern dass diese Ursachen außerhalb der Materie, z.B. in der Welt des Geistes, liegen müssen. Viele würden das aber anders sehen.

Ein anderer Aspekt sind Laute, Musik und Geräusche allgemein. In Platons Höhlengleichnis sind die Laute der Schatten ein Widerhall der Gespräche der Vorübergehenden aus der geistig-seelischen Welt. Wenn man das in die Wirklichkeit übersetzt, kann das eigentlich nur für Sinn, Inhalt und Semantik der Sprache zutreffen. Tatsache ist, dass sich die Naturwissenschaften mit der Darstellung und Klärung von Sinn und Inhalten, sei es in der Sprache oder anderswo, schwertun, obwohl Sprach- und Geräuschinhalte im täglichen Leben eine sehr wichtige Rolle spielen. So lehrt z.B. die Erfahrung, dass im Leben meistens nur derjenige erfolgreich ist, der gut reden kann. Man kann sich noch darüber streiten, was “gut” im jeweiligen Zusammenhang bedeutet, das Reden ist aber auf jeden Fall sehr bedeutend.

Wie Platon und Hegel gehe auch ich davon aus, dass Sprach- und Geräuschinhalte ideeller Natur sind. Für mich ist das ein wichtiger Punkt, der dazu dienen kann, die Plausibilität des Weltbilds, das Platon in seinem Höhlengleichnis zeichnet, zu klären.

Platons Höhlengleichnis wird oft mit der Erkenntnistheorie in Zusammenhang gebracht. Ich möchte kurz auf einen Teilaspekt zu diesem Thema eingehen, und zwar auf den Raumbegriff resp. auf das vierdimensionale Raum-Zeit-Kontinuum. In der naiven Anschauung und auch in vielen Naturwissenschaften ist der Raum fest vorgegeben und absolut. Man kann sagen, dass sich das praktische Leben in einem endlichdimensionalen Raum abspielt, der nur drei oder vier Dimensionen hat. Dieses vierdimensionale Raum-Zeit-Kontinuum ist eine Art von Tabelle, in die wir über den Erkennt­nisprozess unsere Sinnes-Eindrücke eintragen. Das Gleiche gilt auch für die Naturwissenschaften, die in die Tabellen, die dem Raum und den naturwissenschaftlichen Modellen entsprechen, ihre Messergebnisse eintragen. Offenbar eignen sich derartige Tabellen sehr gut zur Beschreibung der Materie.

Platon erwähnt in seinem Gleichnis eine “kleine Mauer”. Diese könnte man als Hinweis auf eine Grenze zwischen Geist und Materie interpretieren. Tatsächlich kann man annehmen, dass es auch in der Wirklichkeit eine Grenze zwischen Geist und Materie gibt, nämlich die Lichtgeschwindigkeit. Elektromagnetische Wellen, insbesondere Licht, die Quanten, die einmal Teilchen sind, ein­mal Welle, sind Teil dieser Grenze.

Seit der speziellen Relativitätstheorie von Albert Einstein wissen wir, dass die Lichtgeschwindigkeit (c = 299790 km/sec) die Grenzgeschwindigkeit der Materie ist, d.h. kein materieller Körper kann jemals die Geschwindigkeit c erreichen.

Alles, was mit Lichtgeschwindigkeit transportiert werden kann, ist demzufolge ideell oder zumindest immateriell.

Dazu zählen neben Informationen auch Medieninhalte, Sprache, Musik, Bilder, Software und ähnliches. Die Grenze zwischen Geist und Materie ist für die Technik sehr wichtig, aber nicht deswegen, weil die Realität an dieser Grenze endet, sondern weil hinter dieser Grenze wesentliche und wichtige Bereiche der Wirklichkeit beginnen.

Eine bestimmte Geschwindigkeit als Grenze anzusehen, mag auf den ersten Blick ungewohnt sein. Üblicherweise verstehen wir unter “Grenze” einen genau festgelegten räumlichen Bereich, etwa eine Linie oder Fläche. Für Autofahrer allerdings ist der Begriff “Geschwindigkeitsbegrenzung” et­was alltägliches.

Angenommen es besteht für eine Straße eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 km/h, und die Geschwindigkeit wird von einer stationären Radaranlage kontrolliert. Dann ist die Geschwindigkeit 30 km/h durchaus auch eine Grenze, nämlich die Grenze, an der es sich entscheidet, ob ein Autofahrer einen Strafzettel bekommt oder nicht. Genauso kann man auch die Geschwindigkeit des Lichts als Grenze auffassen.

Ein weiteres Problem ist die Interpretation der Gegenstände und der Menschen, die die “Gerät­schaften” hinter der Mauer vorbei tragen, wobei sie einen Weg hinter der Mauer benutzen.

Platon legt seinem Gleichnis ein idealistisches Weltbild zugrunde. D.h. sowohl die Gerätschaften als auch die Leute, die diese Gegenstände tragen, sind Bestandteile einer geistigen Welt, also z.B. Ideen oder Seelen.

Die Gerätschaften werfen “Schatten” auf die gegenüberliegende Höhlenwand. Es besteht also eine Verbindung, d.h. eine Art Projektion, zwischen den vorüber getragenen Gegenständen und der Höhlenwand. Übersetzt in die Wirklichkeit bedeutet das, dass es eine Verbindung zwischen den Ideen und Seelen, die im Gleich­nis beschrieben werden, und der Materie resp. der materiellen Welt gibt. Näher betrachtet erweist sich diese Verbindung als ein schwieriges Thema, das durch die Projektion in Platons Höhlengleichnis nur unvollständig beschrieben wird.

In der Wirklichkeit wird man zunächst einmal den Unterschied zwischen Erkennen und Handeln hervorheben. Dabei ist das Erkennen als Voraussetzung für das Handeln anzusehen. Nach Platon erkennen wir nicht die Ideen als solche, sondern nur deren Schatten.

Für mich steht jedenfalls fest, dass die genannte Verbindung das Leben klassifiziert, und zwar kann man sagen, dass ein materielles Objekt, genauer gesagt ein Bereich der materiellen Welt, genau dann lebendig ist, wenn eine Verbindung zur geistigen Welt besteht. Das erklärt auch, warum man die Leute, die die Gerätschaften an der Mauer vorbeitragen, als Seelen interpretieren muss.

Ein anderer wichtiger Aspekt betrifft das Leben nach dem Tod. Wie gerade eben erwähnt, werden in Platons Höhlengleichnis die Seelen der Lebenden durch die Leute repräsentiert, die auf dem Weg vor dem Feuer vorbeigehen, sodass ihre Schatten auf die Höhlenwand projiziert werden (Verbindung zur Materie). Auf die Seelen der Toten trifft dies nicht zu. Man muss also annehmen, dass sich diese Seelen zwar in der Nähe des Feuers befinden (also noch innerhalb der Höhle), aber außerhalb des genannten Weges.
 

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